Nachruf zu Lebzeiten

09.05.2023

Am Samstag, 6. Mai, ist Philippe Sollers gestorben – und am Montag nichts im Perlentaucher. Heute ein Nachruf in der FAZ.

Seit Seltsame Einsamkeit und Der Park (noch in der Fischer Doppelpunkt Reihe) war ich immer neugierig auf ihn geblieben, auch als er, wegen seinen teils mutwilligen, medial inszenierten bis mysteriösen [politischen] Wandlungen, schon als eine dubiose Gestalt galt (ein umfangreiches, vielfältiges und undogmatisches Werk, nennt das elegant Jürgen Altwegg). Dabei habe ich seine späteren Sachen dann kaum noch gelesen – sie wurden schlicht bis heute nicht übersetzt!

Das Besondere war der Geisteszustand, in dem mich diese beiden frühen Bücher versetzten: Ich würde es tatsächlich bewusstseinserweiternd nennen, Lesen als Immersion und Wiederlesen (und ich habe das ähnlich intensiv, außer bei meinen Favoriten, späterhin nur noch bei wenigen Autoren erlebt). Aber die Meisten, denen ich Sollers seinerzeit als Empfehlung nannte, fanden ihn unlesbar. (Die Bruno-Figur in Les Particules élémentaires, die vor seinem Treffen mit Sollers als Herausgeber von L’Infini etwas aus seinen Büchern ziehen will, gibt nach wenigen Seiten auch gleich auf.)

In einem immer mehr Marketing-getriebenen Buchmarkt, ist es tödlich, andauernd seine Schreibweisen zu ändern. Mir fällt niemand ein, der hierzulande souverän in einer solchen Gegen-den-Strich-Tradition (Huysmans) publizierte. Wie soll man solch eine Gestalt heute einschätzen? Enfant terrible einer totgesagten Avantgarde (Helga Finter im Schreibheft). Was für ein Abenteuer war das einmal, sich solchen Alternativwelten zu nähern. (Als ich in unserer Stadtteilbücherei einmal nach einem Roman von Robbe-Grillet verlangte, wollte die Bibliothekarin ihn mir nicht geben, weil sie mich – ich glaube mit 15, 16 – zu jung dafür hielt.)

Mit ihren Protagonisten verschwinden ganze Denkschulen im Akademismus. Und ganz fern bleibt ein wenig persönliche Trauer zurück.



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